Seit 2014 geniessen Literaturfreunde in der Deutschschweiz Lesungen in heimeliger Atmosphäre bei privaten Gastgebern. Das offene Konzept von Mariann Bühler mit Raum für Improvisation geht im Herbst in die vierte Runde.
Als Mariann Bühler vor einigen Jahren von speziellen Literaturveranstaltungen in Freiburg hörte, wollte ihr das Gehörte nicht mehr aus dem Kopf gehen: Dort sass man in WGs zusammen und Autorinnen und Autoren lasen, hauptsächlich in Studentenwohnungen, aus ihren Werken vor. Dieses Lesungsformat „zwischen/miete“ hatte so gar nichts mit den offiziellen Einladungen von Buchhandlungen oder Literaturhäusern zu tun. Und es gefiel den Leuten! Bühler kontaktierte die Organisatorin Stephanie Stegmann und stellte fest: So offen das Format, so offen auch die Macher. Zur Verbreitung der Idee gab sie ihre Erfahrungen gerne an die Baslerin Bühler weiter.
Die erste Saison in Basel bestritt Mariann Bühler mit sechs Lesungen und einer abschliessenden „Sommersause“ mit Musik. „Am Anfang gab es natürlich Unsicherheiten,“ erzählt sie. „Ich wusste nicht, ob ich genug Gastgeber finden würde oder ob genug Zuhörer kommen.“ Denn immerhin öffne man bei diesem Lesungsangebot seine Wohnung für völlig fremde Menschen. Doch die Basler überraschten sie: Es gab schneller eine Warteliste für die Gastgeberrolle, als sie jemals vermutet hätte. „Das hat sich verselbständigt, die Menschen melden sich freiwillig und haben grosse Freude daran.“
Ein Format für Literaturdebuts
Ihren Fokus legte Mariann Bühler von Beginn an auf Literaturdebütanten, um sie bekannter zu machen und ihnen eine Bühne zu geben. Dieses Konzept fiel schnell auf: Bereits in der ersten Saison ermöglichte Engagement Migros, der Förderfonds der Migros-Gruppe, das Konzept noch weiter in die Schweiz zu tragen.
Inzwischen hat Bühler Verbündete in der Zentralschweiz, in Zürich, im Aargau sowie Bern und Winterthur. Während die Autoren natürlich überregional eingeladen werden und lesen, geschieht die eigentliche Organisation der einzelnen Lesungen jeweils lokal. „Man muss die Situation vor Ort kennen und einen regionalen Bezug haben, damit die Veranstaltungen funktionieren,“ sagt Bühler.
Lokale Stärken ausspielen
Daniela Krienbühl, die die Sofalesungen in der Zentralschweiz betreut, lud den Autor Semi Eschmamp beispielsweise in ein Atelier ein. Eschmamps Lesungen sind bekannt als skurrile Perfomances mit allerlei Kartongeräten, das Umfeld mit Origami-Dekoration und vielen anderen Schaustücken passte ausgezeichnet dazu. In den Städten finden sich die Gastgeber vielfach etwas schneller, als in ländlichen Regionen. Aber gefehlt hat es an interessierten Gastgebern noch nie. Selina Hauswirth betreut die Lesungen der Region Aargau/Bern und lud Ariane von Graffenried in Bern vor Kaminfeuer ein. Laura Wohnlich wiederum profitierte während ihrer Lesung im aargauischen Biberstein von einer grossartigen Aussicht auf das Aaretal.
Für alle Sofalesungen werden Büchertische auf die Beine gestellt. Auch hier gehört das Lokale zum guten Ton, die Organisatoren sprechen die Buchhändler vor Ort an. Meist verkaufen sie überraschend viele Exemplare, stellt Bühler fest: „Die Hörer erhalten einen ganz anderen Bezug zu den Autoren, wenn sie diese in einem so kleinen Rahmen live erleben. Sie fühlen sich persönlich involviert und nehmen sie weniger distanziert wahr. Umso lieber kaufen sie uns die Tische leer.“
Literatur zwischen Kaminfeuer und Dachboden
„Die Veranstaltungen leben von den Gastgebern, die sich selber grundsätzlich einbringen dürfen,“ sagt Mariann Bühler. Sie erinnert sich an eine Gastgeberin, die Klavierbegleitung anstimmte und andere, die solche grossen Hut-Liebhaber waren, dass sie sämtliche Gäste mit Kopfbedeckung versorgten. „Das war bei einer Lesung von Yael Inokai in einem geräumigen Dachboden in Bern, hatte aber gar nichts mit dem Buch zu tun,“ lacht sie.
Sofalesungen haben einen Rhythmus von sechs bis acht Lesungen im Jahr pro Ort bzw. Region. Damit findet sich eine gute Balance zwischen bewusster Präsenz des Formats im Literaturbetrieb und dem Speziellen des Angebots. Die Organisatoren nutzen die Veranstaltungen auch, um Moderatoren zu finden. „Das Format ist ein guter Rahmen, um so etwas zu probieren oder Fähigkeiten zu festigen,“ findet Bühler. Das Format sei ohnehin sehr offen für neue Ideen. Eine Moderatorin, die aus dem Theaterbereich kommt, habe zum Beispiel eine Geräuschkulisse für die Lesung erarbeitet, wie beim Hörspiel. Andere beziehen das Publikum mit ein.
Attraktiv für neue Zielgruppen
Um Gastgeber zu werden, braucht es ausser der Freude an Literatur nicht sehr viel, meint Bühler: „Platz für mindestens zwanzig Leute und einen kleinen Apéro.“ Die persönliche Atmosphäre mache den Charme der Veranstaltungen aus. „Manche Zuhörer stehen bei Platzmangel auch mal in der Tür, andere sitzen auf Kissen und die Stühle sind immer eine ganz bunte Mischung. Aber keinen stört das,“ sagt sie. „Das Publikum schätzt genau das Improvisierte und dass solche Varianten in jenem Rahmen möglich sind.“ Ein weiterer Vorteil sei es, mit dem legèren Konzept auch Gäste anzulocken, die sich weniger für klassische Kulturveranstaltungen interessierten und bei Sofalesungen offen schnuppern können.
Das Format kam bei allen bisherigen AutorInnen sehr gut an. In etwa einem Jahr werden die ersten der DebutantInnen einen zweiten Buchtitel im Programm haben. Ob sie dann noch ins Konzept der Sofalesungen passen, die vor allem den Debüts eine Bühne geben wollen? Bühler lacht herzlich: „Darüber muss ich mir vielleicht noch ein paar Gedanken machen.“ Auf alle Fälle aber sollen die Sofalesungen eine Startrampe bleiben, um aufstrebenden Autoren in den Literaturbetrieb zu geben.
Text: Bettina Schnerr
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